Es hätte auch in die Hose gehen können - COOGANS BLUFF legen ein Retro-Highlight vor

26. August 2016

Coogans Bluff

Das Berliner/Leipziger Quintett Coogans Bluff hat mit „Flying To The Stars“ ein neues Studioalbum vorgelegt, das zwar auf exzellente und ungewöhnliche Weise retro ist, aber nicht auf der aktuellen Retro-Welle mitschwimmt.

eclipsed: Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Ist das neue Album „Flying To The Stars“ euer bislang bestes Album? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

Willi Paschen: Ich finde, es ist schon ganz gut geworden. Ob es jetzt das beste ist, weiß ich nicht so genau. Ich mag die anderen auch. Das neue Album ist mehr im Gesamtkontext entstanden. Alle Bandmitglieder waren involviert beim Schreiben der Songs. Wir sind dieses Mal auch anders herangegangen, indem wir quasi alle Songs erst im Studio geschrieben haben. Und nicht wie bei den Platten zuvor, als wir die Songs erst ausgearbeitet haben und dann ins Studio gegangen sind, um die Songs aufzunehmen. Dieses Mal haben wir die Songs zusammen ausgearbeitet. Daher fühlt sich das für uns wie ein Gesamtsystem an, auch wenn wir noch einzelne Songs haben.

eclipsed: Ihr habt auch ein eigenes Studio.

Paschen: Ja, mein Bruder Charlie [Anm.: Schlagzeuger und Keyboarder von Coogans Bluff] hat ein Studio. Daher konnten wir uns diese Vorgehensweise auch leisten. Wobei wir gar nicht so lange gebraucht haben. Insgesamt waren wir ungefähr zwei Wochen im Studio, um die Basics, also Schlagzeug, Gitarre und einen Teil der Bläser, aufzunehmen. Die Gesänge und ein paar Orgelspuren haben wir dann hinterher noch gemacht. Es ging dann doch relativ schnell. Wir haben keine Ewigkeiten im Studio verbracht. Wir haben uns von Anfang an gesagt, bis dahin soll das Album fertig sein, und dann haben wir angefangen zu schreiben. Wir hatten schon zwei, drei Ideen, aber keine fertigen Songs. Es ist quasi alles vor Ort entstanden. Es hätte auch in die Hose gehen können, hat aber eigentlich gut funktioniert.

eclipsed: Die Songs klingen überhaupt nicht nach „einfach drauflos gespielt“. Es ist alles wohldurchdacht und klar definiert. Das Album mit nur zwei, drei Ideen dann so hinzukriegen: Respekt!

Paschen: Auf den Punkt komponiert, so könnte man es nennen. Uns ist wichtig, dass da immer eine Melodie dabei ist, die hängenbleibt. Wir wollen nicht einfach drauflosnudeln. Wir jammen im Studio nicht uferlos. Das muss nicht sein. Wir wollen den Bogen kriegen, und es sollte alles songdienlich sein. Der erste Song ist zwar relativ lang, trotzdem hat er eine Leitlinie, die von A nach B führt. Manchmal hat man eine coole Idee, dann spielt man rum, und wenn man es sich hinterher anhört, dann ist es doch nur irgendein Gedudel und nicht so cool. Wir versuchen immer, im Fokus zu haben, dass es am Ende ein Song wird. Wo wir dann am Ende rauskommen, das wissen wir vorher allerdings nicht.  

eclipsed: Der erste Song hat mehrere schöne Melodien. Im letzten Song wiederholt ihr die Melodie dann noch mal. Ist das eine Art Rahmen für das Album? Schließt sich da ein Kreis?

Paschen: Im Endeffekt ja. Die Melodie am Schluss ist ein bisschen anders. Sie ist nicht explizit auf den ersten Song bezogen. Aber man kann es so sehen, dass da noch mal ein großer, ausschweifender Part kommt, ein von der Bläsermelodie getragener Teil.

eclipsed: Das ist wie eine große, abschließende Hymne, die für mich ausdrückt: „Alles ist gut.“

Paschen: Das ist cool, denn wir haben die Songs nicht so geschrieben, dass wir gedacht haben: „Der ist der erste, der ist der zweite, der ist der letzte.“ Letztendlich hat der letzte Song aber die Klammer geschlossen. Mit dem ersten Song geht die Reise los, und am Ende kommt so ein Schlusspunkt. Wie ein Abspann in einem Film. Das Kapitel wird geschlossen. Das ganze Album verfolgt ja die Idee einer Weltraumreise.

eclipsed: Der Titel „Flying To The Stars“ klingt ja auch ein wenig nach Space Rock. Eure Musik ist aber gar kein Space Rock, wie man ihn etwa von Hawkwind kennt.

Paschen: Den Anfang finde ich schon recht spacig. Das ist das Erste, was wir hatten. Der Augenblick, wenn Gitarre und Saxofon zusammen das Solo spielen, das klingt doch wie ein Raketenstart. Dann kam der zweite Teil mit dem „Flying to the stars“-Gesang, bei dem wir ein bisschen Yes im Hinterkopf hatten. Das ist kein klassischer Space Rock, wir haben da eher an die fremden Welten auf den Yes-Covern gedacht. Also mehr diese Richtung als Hawkwind mit all den Effekten. Wir dachten eher an eine Reisegeschichte. Es baut sich auf, „flying to the stars“ eben, dann wegschweben. Wir sind keine Band, die vollwabert oder vollblubbert. Wir wollen eher Klarheit haben, klare Melodien und eine Struktur, die nicht auseinanderfällt. Einen roten Faden.

eclipsed: Ein richtiges Konzeptalbum ist es nicht geworden. Aber es gibt doch das Thema, irgendwohin zu reisen oder irgendwohin zu fliehen.

Paschen: Die Texte drehen sich schon um Weltraum-Themen. Also keine Monster, die uns angreifen. „Hooray“ beschäftigt sich zum Beispiel damit, dass die Zeit, wenn man in der Nähe eines Schwarzen Loches fliegt, dort relativ langsamer vergeht als an einem anderen Punkt. Es gibt einen Knick in der Zeit. Das haben wir in drei Textzeilen verpackt. Beim letzten Song „No Need (To Hurry Up)“ geht es darum, dass du irgendwo im Weltraum bist und nichts mehr zu tun hast. Du brauchst nichts mehr zu machen und kannst dich komplett aufgeben. Das ist schon negativ. Das Konzept fängt relativ enthusiastisch an. Du willst in den Weltraum, du suchst nach Liebe und übergeordneten Zielen, und am Ende kommt raus, dass es das gar nicht gibt. Der Einzelne, der da rumfliegt, wird immer einsamer. Das ist die Quintessenz.   

eclipsed: So wie du das Ende schilderst, klingt es negativ. Für mich hört sich der letzte Song aber sehr positiv an. Er klingt so erhaben, versöhnlich. Ein positiver Abschluss.

Paschen: Das kann man wohl von Tag zu Tag anders sehen. Mal „entspann dich, es ist eh nicht viel zu holen“ oder „Mist, da ist ja wirklich nichts“. Man kann es positiv oder negativ sehen.

eclipsed: Du hast schon erwähnt, dass es euch auf die Melodien ankommt. Dementsprechend viele wirklich schöne Melodien finden sich auf dem Album. Mal sind sie klein und eher versteckt. Mal werden sie immer und immer wiederholt. Wie fallen euch solche Melodien ein?

Paschen: Vielleicht kann man es mit einem Bootcamp vergleichen. Wir haben erst mal beieinandergesessen und zueinandergefunden. Wir haben Tag und Nacht zusammen im Studio abgehangen. Das setzt Ideen frei, mehr, als wenn du dich nur am Wochenende im Proberaum triffst und an den Sachen schraubst. Bei uns gibt es auch niemanden, der zu Hause an den Songs schreibt. Anscheinend funktioniert das ganz gut. Wir haben das in dieser Form auch noch nicht ausprobiert. Es hätte, wie gesagt, auch schiefgehen können. Der erste Song, „Flying To The Stars“, ging relativ fix. Das war alles ganz schnell da. Auch die Bläsermelodie, äußerst cool. Das Gleiche auch beim letzten Song. Eigentlich wollten wir da viel mehr singen. Wir hatten die Idee, dass es hippiemäßiger werden soll. Das meiste ist uns spontan eingefallen und war plötzlich da. Die Melodie zu „Hooray“ war auch schnell da. Es hat dann aber länger gedauert, da einen Song drum herum zu bauen. Es ging alles recht fix. Wir brauchen auch immer eine Deadline: Dann und dann muss es fertig sein. Denn sonst denken wir auch: „Ach ja, da könnten wir mal was machen. Vielleicht hier mal was ändern.“ Wenn wir klar fokussiert sind auf einen Termin, wenn es dann fertig sein soll, dann können wir am besten arbeiten. So ein bisschen Druck muss sein. Da fällt dann mal eine coole Melodie ab.

eclipsed: Sehr schön. Druck erzeugt Melodien. Ihr habt das Album selbst produziert, dein Bruder hat das Album aufgenommen und abgemischt. Hat das eher Vorteile, oder macht das nur mehr Arbeit? Hättet ihr euch einen Produzenten gewünscht?

Paschen: Wir sind den Weg andersrum gegangen. Früher hatten wir Leute, die uns aufgenommen haben. Wir sind aber in die Richtung gegangen, dass wir immer unabhängiger geworden sind, sodass wir unsere Sachen jetzt selbst aufnehmen können. Andere Bands haben vielleicht am Anfang selbst produziert und nehmen sich dann einen Produzenten hinzu. Wir sind jetzt aber so gut eingespielt, und mein Bruder weiß, in welche Richtung es läuft. Das klappt ganz gut. Die meiste Arbeit hat er. Wenn wir jemanden finden sollten, der super zu uns passt oder mit dem wir uns sehr gut verstehen und auf einer Wellenlänge sind, dann würden wir uns auch von ihm produzieren lassen. Bisher hat sich das aber nicht ergeben, und wir fahren ganz gut damit, dass wir das selbst machen. Wir sind auch effektiv damit. Klar, ist das auch anstrengend, die Sachen zu entscheiden. Da wäre manchmal ein Produzent ganz gut, der sagt: „Nein, das ist Mist. Wir machen das besser so.“ Aber wir kriegen das auch so gut hin. Wir zerfleischen uns nicht. Wie die Ideen klingen sollen, ist relativ klar. Es gibt keinen großen Streit. Wir sind da relativ gleichgeschaltet. Ein paar Sachen diskutieren wir, wir haben aber auch eine schnelle Entscheidungsfindung.     

eclipsed: Mit eurem Album „Poncho Express“ von 2012 habt ihr nach eigenem Bekunden einen Neustart hingelegt. Wie ist das zu verstehen?

Paschen: Damals ist Clemens [Anm.: Marasus, Bassist von Coogans Bluff] an den Gesang gegangen. Vorher hat Thilo [Anm.: Streubel] gesungen. Wir hatten uns freundschaftlich getrennt. Die Interessen waren nicht mehr dieselben. Clemens hat also an den Gesang gewechselt. Wenn man als Band den Sänger wechselt, dann ist das immer ein bisschen kompliziert. Schwieriger, als zum Beispiel die Gitarre oder den Bass zu ersetzen. Die Band klingt durch einen neuen Sänger ganz anders. Zu dem Zeitpunkt sind dann auch die Bläser hinzugekommen. Dadurch hatten wir musikalisch eine andere Ausrichtung bekommen, ohne dass wir es wollten. Es hat sich so ergeben. Wir haben einfach geschaut, was dabei herauskam. Und da kam dann die Richtung raus, wie wir sie jetzt auf dem neuen Album eingefangen haben. Vorher war es Rockmusik mit Gesang und noch nicht ganz diese psychedelische, experimentierfreudige Variante. Wobei es auch nicht ganz so stimmt, da auf unserer ersten Platte „CB Funk“ schon recht lange Stücke drauf sind. Das ging aber eher in die psychedelische Stoner-Ecke. Das war schon ein bisschen härter. Das ist jetzt nicht mehr so vorhanden.     

eclipsed: Wie seid ihr damals draufgekommen, ein Saxofon und eine Posaune zu integrieren? Ein Saxofon ist ja noch gängig in der Rockmusik, aber eine Posaune?

Paschen: Wir haben kürzlich erst zusammengesessen und festgestellt: Posaune bei Bands, die man cool findet oder bei denen Bläser eine tragende Rolle spielen? Da fallen einem nicht so viele ein. Saxofon klar, Trompete auch. Aber Posaune? 

eclipsed: Mir fällt spontan keine ein.

Paschen: Mir auch nicht. Höchstens als Teil eines großen Bläsersatzes. Ich müsste mal auf alten Chicago-Platten nachschauen, ob die eine Posaune dabeihatten. Aber dass eine Posaune ein Solo spielt, ist mir jetzt nicht bekannt. Damals hatten wir, noch zu Thilo-Zeiten, einen Song, der nach den Rolling Stones klang, und wir dachten, da müssten noch Bläser rein. Ich kannte noch den Stefan [Anm.: Meinking, Posaune] und den Max [Anm.: Thum, Saxofon] von dem Studentenjob, den ich mal gemacht hatte, und habe die beiden einfach mal gefragt, ob sie nicht Lust hätten, Posaune und Saxofon einzuspielen. Die beiden gehören untrennbar zusammen, die sind eingespielt. So kam es ins Rollen. 

eclipsed: Die beiden Bläser nehmen bei euch großen Raum ein. Fühlst du dich dadurch in deiner Gestaltungsfreiheit als Gitarrist eingeschränkt? Hast du weniger Platz, dich zu entfalten?

Paschen: Nein, nicht wirklich. Auf Platte ist es noch was anderes als live. Live habe ich genug Platz „zum Rumgniedeln“. Bei uns steht aber der Song im Vordergrund. Wenn wir den haben, dann fragen wir uns, ob da eher ein Gitarrensolo passt oder eher ein Saxofonsolo. Auf der neuen Platte spiele ich schon die wenigsten Gitarrensoli. Auf „Flying To The Stars“ habe ich quasi nur einen Gitarrenton zu spielen. Aber nur einen Ton zu spielen, kann viel cooler sein, als viele Töne zu spielen, die letztendlich aber bedeutungslos sind. Ich fühle mich jetzt nicht eingeengt. Ich reiche keine Petition ein und sage: „Mehr Rechte für Gitarristen.“ 

eclipsed: Nicht nur auf dem neuen Album, sondern auch schon früher klingt eine Menge Humor durch. Auch das Artwork des neuen Albums zeigt witzig-naive Weltraumbilder. Wie wichtig sind diese Selbstironie und dieses Augenzwinkern?

Paschen: Musik an sich ist schon wichtig, und wir nehmen unsere Musik auch ernst, aber man sollte das ganze Drumherum nicht zu verbissen sehen. Wir können uns über viele Dinge totlachen, und dann sollte man das Ganze auch nicht so todernst nehmen und einen Atompilz aufs Cover nehmen und zu sehr in eine ernste Richtung bringen. Wobei in dem neuen Artwork noch mehr drinsteckt. Vorne drauf ist ja der kleine Affe, der in den Weltraum geschossen wird, und wenn du die CD oder die Gatefold-LP aufklappst, dann findest du all die Tiere, die in den Weltraum geschossen wurden. Wir haben neun Tiere, die Spinnen, den Affen, eine Schildkröte. Daneben findest du den Text, was mit dem jeweiligen Tier passiert ist. Zum Beispiel der Hund Laika. Viele wissen nicht, dass Laika fünf Stunden nach dem Start an Überhitzung und einem Herzinfarkt gestorben ist. Du findest dort Infos, wann sie in den Weltraum geflogen sind, wie alt sie geworden sind, woran sie gestorben sind. Das ist quasi eine andere Erzählebene, die eben nicht ganz so lustig ist. Auf dem ersten Blick wirkt es relativ witzig. Aber wenn man dann in die Platte reinschaut, dann sieht man, welches Schindluder mit den Tieren getrieben wurde. Viele Affen, die in den Weltraum geschossen wurden, sind auch gestorben. Das kannst du nachlesen. Also einerseits das Humoristische, andererseits ist es dann aber doch nicht so lustig. Eine zweite Ebene also. Sarah [Anm.: Bock], die unsere Covers macht, hatte diese Idee. Es sollten keine Infos über uns als Band drinstehen, sondern über die Weltraumversuche damals.  

eclipsed: Euch wird oft der Begriff „Retro“ angeheftet. Fühlt ihr euch damit wohl?

Paschen: Es ist ein breitgefächerter Begriff. Adele ist ja auch irgendwie retro. Fast alles ist momentan irgendwie retro. Daher kann ich damit schon leben. Wirklich Neues gibt es doch kaum. Selbst ein neues Prodigy-Album ist doch schon retro.

eclipsed: Und wenn jemand sagt, ihr klingt wie die Bands der frühen siebziger Jahre?

Paschen: Das ist mir lieber, als wenn jemand sagt, wir klingen wie Nickelback oder so. Das ist schon okay. Damit können wir umgehen. Wir spielen ja auch irgendwie altes Zeug und stehen auf alte Produktionstechniken. Wir versuchen, nicht überproduziert zu klingen,  und legen keinen Wert auf neumodische Maßstäbe. Wir orientieren uns also doch schon an den alten Platten. Uns ist aber auch wichtig, nicht wie eine Eins-Zu-Eins-Kopie zu klingen, wie zum Beispiel viele Black-Sabbath-Epigonen. Bei denen denkst du: „Oh, ist ja echt cool, klingt wie Black Sabbath.“ Es klingt genauso wie Black Sabbath. Der Gesang klingt genauso wie Ozzy. Ich hoffe nicht, dass wir wie eine x-beliebige Kopie von jemandem klingen. Das wäre für mich zu retro.

eclipsed: Aber mit einer Posaune in so prominenter Rolle lauft ihr kaum Gefahr, wie jemand anderes zu klingen ...

Paschen: Vielleicht Colosseum? Das müsste ich noch mal nachforschen. Das Internet aufschlagen und nach Posaunensolo suchen.

*** Interview: Bernd Sievers

Mehr Infos:
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